Karneval

Dieser Aufsatz wurde zu selbsttherapeutischen Zwecken am Rosenmontag, 15.Februar 2010 geschrieben. Er beschreibt Erinnerungen an den Rosenmontag 1986, die bestimmt verzerrt sind.

Wenn man sich gerne verkleidet und als Kind im Rheinland lebt und den Karneval liebt und alle den Karneval lieben und alle unglaublich viel dafür tun, dass der Karneval toll ist und alle Spaß haben , dann ist das das Paradies. Verkleiden ist einfach grossartig, und wenn alle verkleidet sind ist es am Besten. Wenn man, so wie meine Familie das Paradies verlässt und ins Siegerland, die Heimat meiner Eltern umzieht, dann fehlt einem was.

In Siegen-Eiserfeld gibt es keinen Karneval. Das zu realisieren ist echt hart. Und noch nicht mal in der grossen Stadt Siegen gibt es einen Karnevalsumzug. Nichts. 

Direkt nach dem Umzug wurde ich eingeschult. Am 11.11. um 11 Uhr 11 passierte in der Schule: Nichts

Nach zwei Jahren im engsten Familienkreis Karneval, wollte ich mal wieder mit mehr Leuten feiern und organisierte eine Karnevalsparty. Ich weiss nicht mehr wie viele Kinder ich einlud, aber es waren einige. Wir fuhren total mit Süßigkeiten und Schmuck und Musik und Würstchen auf.

Aber dann klingelte das Telefon:

„Hallo Sarah. Ich darf nicht kommen. Ich musste meinem Vater am Krankenbett versprechen, dass ich nicht zu Deiner Karnevalsparty gehe. Ich habe mich ja so darauf gefreut, aber ich musste es ihm versprechen. Stattdessen gehe ich zu „Jesus liebt Dich“. Meine Mutter hat vorgeschlagen Dich auch abzuholen.“ Auf meinen Einwand, dass ich aber doch eine Karnevalsparty veranstalte und Gäste erwarte und deshalb eh nicht weg will sagte sie: „Meine Mutter fährt auch rum und holt alle ab die mit wollen. Wir haben ja so einen kleinen Bus.“

Ich wusste genau, dass es ihre Mutter, Frau M. war, die ihrem Mann  abverlangt hatte, seiner Tochter dieses Versprechen aus dem Kreuz zu leiern. Sie war es nämlich auch die mal zu mir gesagt hatte: „Oh Sarah, am liebsten würden ich Dich in unsere Familie aufnehmen, denn Deine ist ja so schlimm. Ich meine, da ist doch Dieses uneheliche Kind und dieser Mann, mit dem Deine Mutter in wilder Ehe lebt.“ 

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich einer meiner geladenen Gäste eine gut vorbereitete und vielversprechende Party entgehen lassen würde. Die letzten Tage war in der Schule auch sehr viel über Kostümideen gesprochen worden. 

Dann hörte das Telefon nicht mehr auf zu klingeln und alle Anrufer sagten fast das gleiche: „Ich darf nicht kommen“, oder „Ich weiß nicht wie ich zu Dir kommen soll.“ und „Ich hatte mich ja so gefreut. Ich geh stattdessen zu „Jesus liebt Dich“, ich werde auch abgeholt.

Immer wieder klingelte das Telefon.

Wenn man so viele Absagen bekommt, geht das nicht spurlos an einem vorüber. Ich war mir und bin mir vielleicht immer noch nicht sicher ob der Karneval oder ich gemeint waren. Jesus gegen Karneval? Der kranke, bettlägerige Vater gegen mich? Frau M. gegen meine Familie? Alle Eltern gegen den Karneval? Alle Bewohner Siegen-Eiserfelds gegen den Karneval? Alle gegen mich? Jesus gegen mich? Ich gegen Jesus?

Alle bis auf eine hatten abgesagt. Das Telefon klingelte, sie war dran und ich war schon darauf eingestellt zu sagen, dass ich aber nicht zu „Jesus liebt Dich“ gehe als sie aufgeregt fragte: „Äääh! Aaah! Könnt ihr mich vielleicht abholen? Ich trau mich nicht so durch Siegen-Eiserfeld zu laufen.“

Wir fuhren sofort los. Als sie im Auto mit ihrem Kopf auf meinem Schoß lag, tat sie das nicht nur, weil ihr schöner Iro an der Decke umknickte, sondern auch weil sie nicht von den Jesus-Anhängern gesehen werden wollte.

Ein Detektiv. Ein Punker und ein Clown rissen die Anlage auf, tanzten und sangen bis zum umfallen ums Haus herum und assen alle Süßigkeiten und Würste alleine auf.

Als wir damit fertig waren, steigerten wir uns in unsere Rollen rein. Mein Bruder schlich in seinem Trenchcoat um Häuser, versteckte sich an Ihren Ecken und zwinkerte verstohlen umher. Simone saß auf der Straße rum und versuchte so dicke Speichelklumpen wie möglich zu spucken und ich zeichnete ein Himmel und Hölle-Spiel auf die Straße um sehr ausdauernd und clownesk auf ihm rum zu hüpfen. Danach bin ich nie wieder auf die Idee gekommen eine Karnevalsparty zu feiern.

Meine Mutter versuchte mir zu erklären, dass das bestimmt nicht ein Problem zwischen Frau M. und mir ist. Sie erzählte mir etwas über Siegerländer Protestanten und deren Schwierigkeiten mit heidnischen Bräuchen wie Karneval einer ist, und dass es noch schlimmer für sie ist, dass Katholiken das feiern und dass Siegerländer Protestanten und Protestantinnen dazu sagen:

Dat bruche mer net. Mir sin immer lusdisch.

Doch bis heute habe ich nicht vergessen, dass sie, Frau M., die nicht weit vom Siegen-Eiserfelder Friedhof wohnt, es war, die alle Kinder eingesammelt hat, um sie von meiner Feier fern zu halten.

Also wünsche ich mir beim Universum, dass noch in diesem Jahr zu Halloween drei Kinder an Frau M.s Tür klingeln sollen, verkleidet als „ES“ der Clown, wahlweise auch als Ronald McDonald, „Spike“ der Punker-Vampir aus „Buffy“ und ein Inspektor Cluseau-Zombie.

Sie sollen sagen:

„Wenn sie uns nicht alles Essbare was sich in Ihrem Haus befindet geben, gehen wir auf den Friedhof und schänden Gräber.“ Frau M. soll ihnen dann alles Essbare geben, auch soll eine Palette Rotkohl in Gläsern dabei sein aus deren Inhalt die Kinder ein umgedrehtes Kreuz auf den Parkplatz vor ihrem Haus formen sollen. Mit Unterstrich. Damit man weiss wo unten ist.